Das Institut zur Geschichte von Naturwissenschaften und Technik (IGNT)

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W. Eisenberg und J. Kaiser

Arnold Sommerfeld, die Technik und der VDI

Vortrag zum Symposium „150 Jahre VDI – 100 Jahre Sommerfeldschule“ des VDI Leipzig, der ASG und der HTWK Leipzig am 29. Sep. 2006 an der HTWK

 

Dass Arnold Sommerfeld auch in der Ingenieurwissenschaft Bemerkenswertes geleistet hat, wird angesichts seiner Erfolge in der theoretischen und mathematischen Physik oft übersehen. In seiner Zeit als Professor für theoretische Mechanik in Aachen von 1900 bis 1906 ist er aber auch ein gefragter Kenner der Technik gewesen.

Der Jahrgang 1904 der Zeitschrift des VDI zeigt Sommerfeld auf dem Höhepunkt seines ingenieurwissenschaftlichen Engagements. Wir finden ihn zunächst als Schriftführer – also Vorstandsmitglied – des Aachener Bezirksvereins des VDI.

Zeitschrift des VDI 1904 S. 605

Dann erscheint Sommerfelds Artikel „Naturwissenschaftliche Ergebnisse der neueren technischen Mechanik. Vorgetragen in der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel 1903“. Es war nun freilich brisant für einen gelernten Mathematiker, den Wert bestimmter Ergebnisse der Naturwissenschaft für den Fortschritt der Technik zu benennen, angesichts aller zeitgenössischen Koryphäen der deutschen Ingenieurwissenschaft. Sommerfeld meisterte das Problem, indem er zunächst seine eigenen Kompetenzen klar umriss, um dann überzeugende Beispiele für glückreiche Verbindungen von Naturwissenschaft und Technik anzuführen. Seine exemplarischen Beispiele betreffen:

  • die Elastizitätstheorie mit ihren bedeutend ausgeweiteten Berechnungsgrundlagen durch den Satz von Castigliano
  • die Festigkeitslehre mit ihren Neuerungen durch Heinrich Hertz
  • die Hydrodynamik mit ihren Neuerungen durch Reynolds
  • die Theorie der Resonanzerscheinungen und deren erfinderische Konsequenzen

Sommerfelds Vortrag überzeugte schließlich nicht nur die Naturforscher und Ärzte, sondern auch die Redaktion der Zeitschrift des VDI:

Zeitschrift des VDI 1904 S. 631
Zeitschrift des VDI 1904 S. 632
Zeitschrift des VDI 1904 S. 633
Zeitschrift des VDI 1904 S. 634
Zeitschrift des VDI 1904 S. 635
Zeitschrift des VDI 1904 S. 636

Natürlich blieben Einwände von Ingenieursseite nicht aus, wie die „Zuschriften an die Redaktion“ belegen. So nimmt der Leser Dr.-Ing. Engesser Anstoß an Sommerfelds Formulierung des Castigliano'schen Minimumprinzips

  • „Die Natur bevorzugt diejenige Wahl, bei welcher sie mit der geringsten Formänderungsarbeit auskommt“.

Zum einen verweist der Leser darauf, dass das Gesetz Gültigkeitsgrenzen hat. Vor allen aber möchte er vor einer Interpretation warnen, dass etwa hinter dem Minimumprinzip mystische Naturprinzipien stünden. Vielmehr will er verdeutlichen, dass auch das Castigliano'sche Minimumprinzip „nur eine mathematische Folgerung aus bestimmten Voraussetzungen“ ist.

Sommerfeld erwidert souverän, dass er sich diesen Bemerkungen „durchaus anschließen“ kann, lässt es sich aber nicht nehmen, von der „Schönheit der Castigliano'schen Sätze“ zu sprechen. Zum Problem wirklicher Mystifizierung von Naturgesetzen verweist er auf Heinrich Herz' „Spiel mit dem Geheimnisvollen“. Schließlich erwähnt er noch, dass das Castigliano'sche Minimumprinzip in einer Reihe mit anderen Minimumprinzipien der Dynamik zu sehen ist, womit er jegliches potentielle Missverständnis im Sinne einer etwaigen Sonderstellung des Satzes von Castigliano wirkungsvoll ausräumt.

Zeitschrift des VDI 1904 S. 821

Unter den Minimumprinzipien ist wohl in erster Linie das Hamilton-Prinzip als Analogon für die Bewegung starrer Körper gemeint. Die Minimumprinzipien bleiben fortan Gegenstand von Sommerfelds Lehre bis zu seinen „Vorlesungen über theoretische Physik“, Band 2, Leipzig 1945.

Sommerfelds Beispiel zu den Resonanzerscheinungen, der „Schlick'sche Schiffskreisel“, ist kurz zuvor von Prof. August Föppl in der Zeitschrift des VDI beschrieben worden:

Föppl, Fig. 3, Zeitschrift des VDI 1904 S. 478

Eine dauerhafte Anwendung ist dieser Erfindung aber wohl doch versagt geblieben.

Auch Sommerfeld selbst hat in seinen Aachener Jahren zu den Resonanzerscheinungen intensiver gearbeitet, als man zunächst vermuten mag. Seine Theorien sind anscheinend erst nach seinem Weggang aus Aachen veröffentlicht worden und finden sich in der Arbeit

Voissel, Peter: Resonanzerscheinungen in der Saugleitung von Kompressoren und Gasmotoren. Diss. TH Aachen, 1910.

Voissel, Titel
Voissel, Inhalt
Voissel S. 9
Voissel S. 17
Voissel S. 56

Neben einer „Theorie von Sommerfeld“ wird auch eine „Theorie von Sommerfeld-Debye“ behandelt. Der Zweitgenannte ist kein Geringerer als Sommerfelds Aachener Assistent und nachmaliger Nobelpreisträger Peter Debye.

Literatur: Arnold Sommerfeld, Wissenschaftlicher Briefwechsel, Band 1. Eckert und Märker, Hrsg. München 2000

Vielen Dank an Frau Andrea Jaek und die Zeitschriftenbibliothek "Naturwissenschaften und Technik" der RWTH Aachen für die freundliche Zurverfügungstellung der Dissertation Voissel.


© 2006  Dr. Uwe Renner