Das Institut zur Geschichte von Naturwissenschaften und Technik (IGNT)

Ein Institut der Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V. (ASG)
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Helmut Rechenberg (1937-2016)

Dr. rer. nat. / Physiker und Wissenschaftshistoriker

  • Wissenschaftlicher Beirat des Sommerfeld-Seminars 1995-2016
Wissenschaftlicher Werdegang

Helmut Rechenberg, geb. am 6. Nov. 1937 in Berlin, studierte Physik, Chemie, Astronomie und Astrophysik an der Universität München. Am Institut von Walther Gerlach untersuchte er experimentell Fragen der Festkörperphysik (1964 Diplomarbeit über Ferromagnetismus). 1968 promovierte er am Max-Planck-Institut für Physik in München als letzter Doktorand bei Werner Heisenberg auf dem Gebiet der theoretischen Physik über Quantenfeldtheorie mit der Arbeit „Zur Wechselwirkung selbstgekoppelter Spinorfelder in zwei Raum-Zeit-Dimensionen“. Diese Studien wurden in den Postdoc-Jahren 1970-1972 an der University of Texas in Austin fortgesetzt. Gleichzeitig begannen in Zusammenarbeit mit Jagdish Mehra die Vorarbeiten zu einer Geschichte der Quantentheorie.

Nach der Rückkehr aus den USA an das Max-Planck-Institut für Physik in München forschte er weiter über die Theorie der Elementarteilchen. Die nächsten zwei Jahre wirkte er als Gast mit einem DFG-Stipendium an den Universitäten von Genf und Brüssel (Solvay Institut), wo er mit Jagdish Mehra über die Geschichte der Quantentheorie und ihrer Anwendungen arbeitete, die er 2001 in München mit den 6. Band abschloss. 1990 war er Gastprofessor an der Northwestern University in Evanston (Illinois) sowie an der japanischen Universität Kioto und der Matsumae Stiftung in Tokio, bevor er nach München zurück kehrte. 1991–2006 war er Vorstandsmitglied des Fachverbands Physikgeschichte der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

2002 ging er offiziell in den Ruhestand und begann an einer Heisenbergbiografie zu arbeiten, deren zweibändiger erster Teil im Jahr 2010 erschien. Als Berater der Physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig gab er mit Jürgen Bortfeld und Wolfgang Hauser eine Monographienreihe heraus und verfasste gleich selbst deren ersten Band, eine Biografie von Hermann von Helmholtz, des Gründungspräsidenten ihrer Vorgängerin, der Physikalisch-technischen Reichsanstalt zu Berlin. Diese Biografie hat unterdessen zwei Neuauflagen erlebt, die erste für die Helmholtz-Gemeinschaft, die letzte für das bevorstehende PTR/PTB-Jubiläum. Darüber war er sehr erfreut, denn sie stellt die erste moderne Biographie seit den 1890er Jahren dar, die sich nun auch auf den inzwischen publizierten Briefwechsel stützen konnte.

Dr. Rechenberg zählte zu den führenden Historikern der Quantentheorie und ihrer Anwendungen auf Atomphysik und Atomchemie, Kern- und Elementarteilchenphysik. Er war Mitherausgeber der Gesammelten Werke von Werner Heisenberg in 9 Bänden und leitete seit 1977 das Werner Heisenberg-Archiv.

Die Traditionslinie der Sommerfeldschule führte Helmut Rechenberg frühzeitig in unsere Heimatstadt Leipzig. Erste Kontakte zum Archiv der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig gelangen 1984, später, 1992, dann zum Universitätsarchiv Leipzig, anfangs nur schriftlich, dann auch durch wechselseitige persönliche Begegnungen. In fruchtbarer Zusammenarbeit mit Leipziger Fachkollegen gelang es, die verstreuten Puzzleteile der Sommerfeldschule mit so klangvollen Namen wie Werner Heisenberg, Peter Debye, Gregor Wentzel, Friedrich Hund, Guido Beck, Felix Bloch und Edward Teller in wissenschaftlicher Akribie zusammenzufügen. Ausstellungen zu den Heisenberg-Jubiläumskonferenzen 1991 und 2001 in Leipzig schlossen sich an; mehrere Schriften würdigen die dabei geleistete "wunderbare Zusammenarbeit" mit der "Leipziger Physik" und vielen Zeitzeugen.

Helmut Rechenberg war auch sehr früh in die Vorbereitung der Arnold-Sommerfeld-Gesellschaft e.V. involviert. So hielt er 1993 den Festvortrag in der universitären Physik – anlässlich des 125. Geburtstages von Arnold Sommerfeld. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats zum Sommerfeld-Seminar ab 1995 vertrat er eine Form der Aufarbeitung der Physikentwicklung, die historiografische Genauigkeit mit aktuell verständlicher Retrospektive verknüpft. Eine seiner letzten Reisen führte ihn 2008 zu unserem Symposium „Wolfgang Pauli – Mittler zwischen Natur- und Geisteswissenschaften“ nach Leipzig. Mit seinem Vortrag „Wolfgang Pauli und Werner Heisenberg“ ist er uns in dankbarer Erinnerung verblieben. (M. Wolff, Präsident der ASG e.V.)

Schriften:

o mit Jagdish Mehra: The historical development of quantum theory, Springer, mehrere Bände, 1982, 1987, 2001, 2002:
o Bd. 1 (in 2 Teilen): The quantum theory of Einstein, Bohr, Planck and Sommerfeld 1900–1925 – its foundation and the rise of its difficulties, 1982
o Bd. 2: The discovery of quantum mechanics 1925, 1982
o Bd. 3 The formulation of matrix mechanics and its modifications 1925–1926, 1982
o Bd. 4 Fundamental equations of quantum mechanics – reception of the new quantum mechanics, 1982
o Bd. 5: Erwin Schrödinger and the rise of wave mechanics, 1987 (Teil 1: Schrödinger in Wien and Zürich 1887-1925, Teil 2: The creation of wave mechanics. Early response and applications 1925–1926)
o Bd.6: The completion of quantum mechanics 1926–1941, Teil 1: The probability interpretation and the statistical transformation theory, the physical interpretation, and the empirical and mathematical foundations of quantum mechanics, 1926–1932, 2000, Teil 2: The conceptual completion and the extensions of quantum mechanics, 1932-1941. Epilogue: Aspects of the further development of quantum theory, 1942–1999, 2001
o mit Laurie Brown: Origin of the concept of nuclear forces, Taylor and Francis 1996
o mit Jürgen Bortfeld, Wolfgang Hauser: Hermann von Helmholtz – Bilder seines Lebens und Wirkens, Wiley VCH 1994
o mit Gerald Wiemers (Hrsg.): Werner Heisenberg - Gutachten und Prüfungsprotokolle 1929-1942, Berlin, ERS Verlag 2001
o Herausgeber: Werner Heisenberg. Deutsche und Jüdische Physik, Piper 1992
o Die Farm Hall Berichte, ein Kommentar, Hirzel, Stuttgart, 1994
o Die Physikalisch-Technische Reichsanstalt/Bundesanstalt 1887–1987. Ein Überblick, PTB, Braunschweig 1993
o Werner Heisenberg und die Leipziger Physik. Aus der Korrespondenz Wiemers-Rechenberg 1984-2006. In: Naturwissenschaft - Geschichtswissenschaft - Archivwissenschaft. Festgabe für Gerald Wiemers zum 65. Geburtstag / hrsg. von Jens Blecher, Detlef Döring und Manfred Rudersdorf, Leipziger Univ.-Verl., 2007
o mit Gerald Wiemers: Physics in Einstein's Days, 1900-1933. In: Leipzig, Einstein, Diffusion / Jörg Kärger (ed.). With paintings "Views of Leipzig" by Taro Ito. 3. Aufl. Leipziger Univ.-Verl., 2014

o Werner Heisenberg - die Sprache der Atome. Bd. 1 (in 2 Teilen). Berlin: Springer 2010
Leben und Wirken - Eine wissenschaftliche Biographie. Die "Fröhliche Wissenschaft" (Jugend bis Nobelpreis)
"Die Entdeckung Heisenbergs, dass sich Messwerte komplementärer Größen in der mikroskopischen Welt nicht beliebig genau bestimmen lassen, vollendete die von Planck, Einstein und anderen entwickelte Quantentheorie und eröffnete ein neues 'Goldenes Zeitalter' der Physik. Der letzte Doktorand Werner Heisenbergs verarbeitet in dieser Biografie eigene Erinnerungen und stützt sich auf Zeitzeugen sowie Manuskripte und Publikationen Heisenbergs. Diese systematische Biografie deckt die erste Phase seines Lebens ab – bis zur Verleihung des Nobelpreises 1933."


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